Annerös und Teilnehmer
Annerös und Teilnehmer

Herbstreise 2015 nach Graubünden

Hans Peter Graf

Die Herbstreise des Bernischen Organistenverbandes führte uns 2015 ins Graubünden und dauerte vom 21. bis 25. September. Unter kundiger Leitung von Annerös Hulliger durften wir einige Schätze der reichen rhätischen Orgellandschaft entdecken. Untergebracht waren wir in Flims Waldhaus im Hotel Cresta, wo uns jeden Morgen Claudia Coray mit dem kleinen Postauto abholte, um uns sicher und ortskundig durch die engen Strassen in die hintersten Talwinkel zu chauffieren. Erinnerungen an frühere BOV Reisen mit Chauffeuren wurden wach: Claudia gehörte bald zu uns und wollte keine Orgelvorführung verpassen. Und solche gab es zuhauf, aber doch so, dass es immer auch zu einem Kaffee- und Mittagshalt reichte, auch Mal für einen Spaziergang, einen Museumsbesuch (Museum Regiunal Surselva, Ilanz) oder die Dorfbesichtigung von Valendas.
Ein Schwerpunkt waren die vielen Kleinode, einmanualige Örgeli mit einoktavigem Pedal, 4 – 9 Register, aus dem 17. Und 18. Jahrhundert. Erbauer zum Teil anonym, aber wir treffen auch auf klingende Namen wie Matthäus Abbrederis (Mon), Pankratius Kaiser (Versam), Johannes Allgeuer (Valendas), Anton Sacchi (Acletta). Öfters kamen die Instrumente erst später an die heutigen Standorte. In der Wendelinskapelle in Cazis steht eine Toggenburgerhausorgel 1773, mit Windschöpfer per Fusstritt.
Auch bei den anderen gab es zum Teil die Möglichkeit, dass jemand von uns als Kalkant wirken konnte, auch wenn der Motor vorhanden war. Höhepunkt waren sicher die Vorführungen in Mon, Sankt Franziskus und in Versam, evangelische Kirche. Alle Instrumente wurden in den 1970iger-Jahren restauriert. Eine weitere einmanualige Orgel besuchten wir in Kirche St. Peter und Paul in Schluein, I P/11, 1872 erbaut von Johann Michael Braun, Württemberg, ein hübsches romantisches Instrument mit reicher Achtfuss- Palette. Das andere romantische Instrument auf dem Programm war die grosse Orgel in St.
Martin, Chur, III P/43, erbaut 1864 durch Kuhn, mit Kegelladen, erweitert 1918 durch Goll, 1992 restaurativer Neubau durch Kuhn. Das sehr schöne Instrument steht im Chorraum. Einen besonderen Leckerbissen stellt dort die durschlagende Klarinette dar.
Die anderen beiden Grossorgeln besuchten wir in der Kathedrale Chur und im Kloster Disentis. Erstere wurde 2007 von Kuhn erbaut, III P/43, es wurden 23 Register der Vorgängerorgeln (Goll 1887, Gattringer 1938) wieder verwendet. Eigenartig das äussere Erscheinungsbild, lauter viereckige Pfeifenfelder, die Empore quasi ins Gehäuse integriert, freie Sicht auf das prächtige grosse Westfenster. Der Organist Herr Fischer führte uns das Instrument kurz vor, dann durften wir selber in die Tasten greifen. Der Klang: ansprechend, rund, nicht zu aufdringlich.
Das andere Instrument bildete auch gleich den Abschluss der Reise: die elektropneumatische
Gattringer–Orgel von 1933 in der Klosterkirche Disentis, III P/53. Pater Keusch zeigte uns die Orgel. Imposant der grosse amerikanische „Wurlitzer“-Spieltisch, jedoch sehr unpraktisch, muss doch das Notenpult samt Noten beim Registrieren immer hochgeklappt werden. Es ist ein erhaltenswürdiges Instrument, aus dem gleichen Zeitgeist (Elsässer Orgelreform) heraus, aus dem 1930 auch die Berner Münster–Orgel hervorging. In Disentis war aber das Rückpositiv nur Attrappe und wurde erst 1960 durch Mathis mit acht Registern versehen, zuschaltbar auf das erste Manual. Bei einer dringend anstehenden Restaurierung würde dann ein neuer praktikablerer, viermanualiger Spieltisch realisiert. Des Weiteren wurden aber auch neun zweimanualige neuere Orgeln in vornehmlich neobarockem Stil
aus den 1980iger-Jahren besucht, erbaut durch Mathis, Metzler, Felsberg und Späth. Die Kuhnorgel in der Pfarrkirche Ilanz, erbaut 2001, IIP/26 mit Setzern, ist romantisch geprägt.
Sie klingt ansprechend, im Pedal hätte ich mir allerdings statt der Trompete 8‘ eine 16‘–Zunge
gewünscht, auch eine Voix céleste hätte eigentlich dazu gehört.
Die meisten Orgeln wurden von Annerös mit ihrem begeisternden zupackenden Spiel präsentiert, sie liess die Instrumente ihrem jeweiligen Charakter entsprechend erklingen und hatte uns allemal mitten ins Herz gespielt, wie es eine Mitreisende treffend ausdrückte. In ihrem breiten Repertoire kamen grosse Bachwerke und andere Stücke ebenso wie viele kleinere Werke quer durch die Literatur und Jahrhunderte vor, auch natürlich ihre Spezialität: ihre gesammelten Entdeckungen alter Tänze, welche sie sehr originell bearbeitete, kurz: wir konnten manch noch Unbekanntes entdecken. Immer wurden wir aber auch aufgefordert und ermuntert, die Instrumente selber auszuprobieren. Auch haben wir hie und da aus alten Singbüchern gesungen. Ein Instrument (Metzler, St. Luzi in Chur) wurde von Roman
Cantieni, ein paar durch die Teilnehmer Max Glauser und mir gezeigt. Jedem wurde zudem eine ausführliche Dokumentation der Instrumente und allgemein der Bündner Orgellandschaft abgegeben.
Alles in allem blicken wir auf sehr anregende, intensive und interessante fünf Tage zurück, an denen aber dennoch nie Hetze aufkam. Annerös Hulliger gebührt unser herzlichster Dank für die Organisation dieser Reise.