Herbstfahrt nach Genf, Samstag, 15. Oktober 2016
Christoph Röthlisberger
Bei strahlendstem Herbstwetter fuhren wir 40 Organistinnen und Organisten nach Genf. Jürg Brunner hatte für uns eine reiche und vorzügliche Palette von musikalischen Köstlichkeiten vorbereitet. Vincent Thévenaz, Organist und Carillonspieler, Professor für Orgel und Improvisation an der Musikhochschule Genf, begleitete uns den ganzen Tag und führte uns mit seinem detailliertem Fachwissen, seiner grossen musikalischen Begabung und Erfahrung in die Besonderheiten der Orgeln ein, die wir besuchen sollten.
Unser erster Besuch galt der Wurlitzer Kinoorgel in der Aula des Collège Claparède etwas ausserhalb des Stadtzentrums gelegen. Die amerikanische Rudolph Wurlitzer Company baute zwischen 1914 und 1943 Kinoorgeln als „Ein-Mann-Orchester“ zur musikalischen Begleitung von Stummfilmen. Davon stehen 3 in der Schweiz, diese hier in Genf und 2 in St. Gallen. In brillanter Weise begleitete Vincent Thévenaz den Stummfilm „La maison démontable“ (Buster Keaton) auf der Orgel und gab uns so ein lebhaftes und faszinierendes Beispiel von der eindrückliche Klangvielfalt des Instrumentes. In grosses Erstaunen versetzte uns auch der Besuch der beiden Räume (Chambers) hinter Bühne und Kinoleinwand mit all den Orgelregistern, Schellen, Pauken, Glocken und weiteren Klangeffekten.
Unser nächster Besuch galt der Grenzing Orgel im Temple des Eaux-Vives. Gerhard Grenzing, ursprünglich aus Deutschland stammend, hat sich als katalanischer Orgelbauer etabliert. Die 2002 erbaute Orgel strebt klanglich den Stil Gottfried Silbermanns an, um mit einer typischen Bach-Orgel eine Lücke in der Genfer Orgellandschaft zu schliessen. Allerdings erreicht sie die Klangqualität einer sächsischen Silbermann-Orgel bei weitem nicht. Die Intonation erinnert eher an das Klangideal der 1960er Jahre.
Die Orgel steht (nebst zahlreichen andern Tasteninstrumenten) auf einer geräumigen Empore, das Orgelgehäuse ist mit Simsen und vergoldeten Labien dem Barock nachempfunden. Vincent Thévenaz vermittelte uns mit seinem grossartigen Spiel ein vielfältiges Beispiel der charaktervollen Register und Klangmöglichkeiten dieses Instrumentes, welches er mit Werken von Bach, Pachelbel, Böhm und Stanley präsentierte.
Nach einer Fahrt in einem hoffnungslos überfüllten Tram an die Place du Marché im schmucken Carouge stillten wir Hunger und Durst in der Brasserie „La Bourse“, ein Lokal, das auch bei grossem Publikumsaufmarsch Topqualität liefert. Jürg, du hast die Gaststätte gut ausgewählt, das Lokal kann für weitere Besuche sehr empfohlen werden.
Anschliessend stand die Eglise Ste-Croix Carouge - gleich gegenüber - auf dem Programm. Die aktuelle Kuhn-Orgel aus dem Jahr 2010 hat eine lange Vorgeschichte: 1832-39 baute Jean Baud – ursprünglich aus Savoyen stammend - die erste Orgel für die Kirche Ste-Croix. 1872 errichtete Joseph Merklin das Nachfolgeinstrument, wobei sich die Abspaltung der Christkatholiken von der Römischen Kirche negativ auf den Bau auswirkte. Bereits 1921 - die Bürger von Carouge waren wieder römisch-katholischer Konfessionszugehörigkeit – errichteten Adolphe und Gustave Tschanun dem Zeitgeist entsprechend ein pneumatisches Werk. 1975 wurde das Werk durch Orgelbau Genf elektrifiziert. Die letzte Restaurierung erfolgte 2010 durch Orgelbau Kuhn und kann ohne zu übertreiben als Meisterwerk bezeichnet werden. Kuhn bewahrte möglichst viel alte Substanz, wie z.B. das Orgelgehäuse und ein Grossteil der Pfeifen, indem er die insgesamt 23 historischen Register mit 11 weiteren ergänzte. Vincent Thévenaz spielte uns das Präludium D-Dur von Buxtehude, ein Ausschnitt aus Messiaens „Ascension“ sowie „Benedictus“ und den 1. Teil der Choralfantasie „Wachet auf“ von Max Reger, eine meisterhafte Darbietung, welche die Vielseitigkeit der Orgel aufs Beste zur Geltung brachte. Besonders erwähnt sei die unglaubliche Schwellwirkung des 3. Manuals.
Ein weiterer Höhepunkt unserer Orgelreise war der Besuch der Kathedrale St-Pierre zum Abschluss. Die Metzler-Orgel aus dem Jahr 1965 war seinerzeit ein bahnbrechendes Instrument, welches grosse Aufmerksamkeit erregte. François Delor, Titularorganist seit rund 40 Jahren, gab uns einen Überblick über die Orgelgeschichte der Kathedrale. 1562 wurde die bestehende Orgel im Geist der Reformation abgebrochen und zerstört. Die erste Orgel nach der Reformation wurde erst 1757 errichtet. Weitere Instrumente folgten, bis schliesslich die aktuelle Orgel mit 4 Manualen und 68 Registern gebaut wurde. François Delor führte uns mit seinem wunderbaren Konzert mit Werken von Bach, Dandrieu, Gigoux und Alain durch die Klangvielfalt dieses majestätischen Instrumentes. Die Einheit von Raum und Klang war überwältigend.
In der seitlich angebauten Chapelle des Maccabées wartete auf uns eine weitere Kostbarkeit: die Walcker-Orgel aus dem Jahr 1888. Das kleine 2-manualige historische Instrument überlebte die Zeit bis heute unverändert. Typisch die Registerpallette: 7x8’, 2x4’ und ein 16’ im Pedal. Auf beeindruckende Weise führte uns V. Thévenaz in die reiche Klangwelt dieser romantischen Orgel ein und spielte uns Werke von O. Barblan, G. Merkel, F. Liszt und F. Mendelssohn.
Für die Nimmermüden stand noch das Carillon auf dem Programm. Dieses wird über steile, unbequeme Treppen und einen langen eindrücklichen Estrich erreicht und befindet sich unter dem grünen metallenen Turmspitz, welcher erst um 1900 errichtet wurde. Auch hier spielte Vincent mit Virtuosität und brachte mit viel Muskelkraft und Einfühlungsvermögen die 37 Glocken zum Klingen. Wer den engen Turmrundgang nicht scheute, wurde durch eine fantastische Sicht auf die Stadt bei Sonnenuntergang belohnt.
Ein eindrucksvoller, facettenreicher Tag hat uns alle sehr beglückt. Herzliche Dank, Jürg, für die Organisation dieses gelungenen Ausfluges.
Die Orgelreise in die Innerschweiz war ein voller Erfolg. Jürg Brunner hat mit viel Aufwand alles bis ins kleinste Detail vorbereitet. So brauchten wir nur rechtzeitig am richtigen Ort zu erscheinen um all die Leckerbissen zu geniessen, welche er uns zugedacht hatte. Wir logierten im Hotel „Continental Park“ direkt neben dem Hauptbahnhof Luzern. Dadurch waren alle Orte mit Bahn, Bus oder Schiff mühelos zu erreichen.
Die Reise begann im heute unbedeutenden Göschenen, das zur Zeit der Eröffnung des Gotthard-Bahntunnels um 1880 nahezu 3000 Einwohner zählte. Entsprechend gross wurden damals Kirche und Orgel geplant. Hans Peter Graf wusste die Goll-Orgel von 1903 ins beste Licht zu rücken. Es folgten Bürglen und Schwyz-Kollegiumskirche sowie am nächsten Tag Meggen, Schloss Meggenhorn, Franziskanerkirche Luzern und schliesslich als Höhepunkt die „Orgelarena“ von Wolfgang Sieber in der Hofkirche mit ihren fast grenzenlosen Möglichkeiten. Er spielte unter anderem sein berühmtes Orgelgewitter, bei dem er die Regenmaschine einsetzte, natürlich ohne Wasser (letzteres soll er nur einmal bei der Einweihung mit Jugendlichen eingesetzt haben). Am 3. Tag dann besuchten wir die „grösste Orgel der Schweiz“ im Benediktinerkloster Engelberg, welche Alessandro Valoriani seit 21 Jahren spielt. Seine freundliche, bescheidene Art und sein grosses Können haben mich sehr beeindruckt. Auch hat mir gefallen, dass die Aufforderung zum Gotteslob auf dem wunderbaren Instrument mit prächtigen Buchstaben angeschrieben ist. Übrigens ist auch die kürzlich restaurierte Chororgel, auf der Felix Mendelssohn einmal gespielt hat, ein Juwel - und ebenso Bruder Leonhard, der die Orgeln pflegt und stimmt. Auf der Hauptorgel gibt es 137 Register. Als nützlich erweist sich ein Negativzug zum Sperren von verstimmten oder hängenden Registern. Nach einem Zwischenhalt in Stans mit Chor- und Hauptorgel ging es wieder zurück nach Luzern. Sehr gut gefallen hat mir die liebliche Jesuitenkirche, die auf Pfählen gebaut sein soll. Sie ist eng mit der Hochschule verbunden. Die Organistin Susanne Z’Graggen erzählte uns, wie viele hundert Leute hier den Gottesdienst besuchen.
Auch am 4. Tag standen interessante Instrumente auf dem Programm. Dorothé Lustenberger führte uns ihre Orgel in der Lukaskirche auf sehr originelle Art vor. Darnach ging es mit dem Schiff von Ort zu Ort: Beckenried, Gersau, Brunnen. Die eben eingeweihte Metzler-Orgel in der Pfarrkirche St. Leonhard Ingenbohl spielte Jürg uns mit besonderem Vergnügen vor, auch wenn er ohne Orgelschuhe auskommen musste. Wenigstens hatte er so die Füsse frei zum Bedienen der Register...
Im Verlauf der Woche lernten wir viele Goll-Orgeln – alte und neue – kennen, so dass sich der Besuch dieser Orgelbauwerkstatt fast aufdrängte. Simon Hebeisen erzählte uns stolz, dass seine Firma den Zuschlag für den Bau der Hauptorgel im Mainzer Dom erhalten hat. Es ist sehr schön, dass wir auf unserer Reise eine Reihe begabter Organisten dabei hatten. Sie reisten zum Teil extra zum Einspielen voraus um uns mit ihren Konzerten zu erfreuen. Dabei gefällt mir, dass sie alle so verschieden sind, so dass wir eine spannende Reise erleben durften. Euch allen und dem Organisator Jürg Brunner ganz herzlichen Dank!
Liselotte Gäumann